Kommissionsentscheidungen und des Kaisers Weib

03/11/17

Am 26. Oktober 2017 verkündete das Europäische Gericht (EuG) ein etwas unerwartetes Urteil in der Rs. T-394/15: es hob eine Kommissionsentscheidung vom 10. Oktober 2014 auf, welche Liberty Global (ein international, u.a. in den Niederlanden tätiger Kabelfernsehanbieter) erlaubte, Ziggo NV (ein niederländischer Kabelfernsehanbieter) zu übernehmen. Warum dieses Urteil? Weil die Kommission unter Verstoß gegen Artikel 296 EUAV ihrer Begründungspflicht nicht genügt hat.

Der Kläger, KPN BV, ein Wettbewerber auf dem Kabelfernsehmarkt, trug vor, die Kommission habe versäumt, mögliche vertikale Wettbewerbsbeschränkungen durch die Übernahme auf dem Großhandelsmarkt für Premium-Bezahlfernsehkanäle, insbesondere für Sportkanäle, zu prüfen. Tatsächlich ließ die Kommission diesen vorgelagerten Markt beiseite, weil darauf ein Wettbewerber tätig war: das schließe gewichtige wettbewerbsrechtliche Bedenken aus.

Das EuG hält diese Begründung für unzureichend und hält mit einer Binsenweisheit dagegen: die Existenz eines Wettbewerbers besagt nichts über etwaige Marktmacht Liberty Globals in dem fraglichen Segment. (Rz. 64). Angesichts der Tatsache, dass KPN BV während des Verwaltungsverfahrens wiederholt Bedenken hinsichtlich dieses vorgelagerten Marktes für Sportinhalte geäußert habe, habe die Kommission zumindest erläutern müssen, warum sie anderer Ansicht sei. Die bloße Erwähnung eines Wettbewerbers genüge nicht dem gesetzlichen Maßstab der Begründungspflicht.

Das Urteil hat Seltenheitswert, denn die EU-Gerichte heben Entscheidungen selten wegen Begründungsmängeln auf. Davon abgesehen sind aber auch die Rechtsfolgen interessant. Immerhin ist der Zusammenschluss vollzogen, entbehrt aber jetzt der vorherigen Genehmigung. Offensichtlich können wir eine Buße wegen Gun Jumpings ausschließen, haften doch die Parteien nicht für Fehler der Kommission. Außerdem sagen wir eine zweite Genehmigungsentscheidung voraus… (you can call us Sherlock). Besteht also Spielraum für Schadensersatzklagen von Wettbewerbern oder Dritten wegen der Auswirkungen der ersten, fehlerhaften Entscheidung auf die betroffenen Märkte?

Die Frage ist weniger abwegig als es auf den ersten Blick erscheinen mag. So kann gemäß der SFIE-Rechtsprechung ein Wettbewerber durchaus auf Rückzahlung einer Beihilfe klagen, welche die Kommission letztendlich für vereinbar mit dem Gemeinsam Markt erklärt, welche der Mitgliedstaat jedoch unter Verletzung der Stillhaltepflicht gemäß Artikel 103 Absatz 3 TFEU ausgezahlt hat. Mit anderen Worten, die Gerichte können einem Unternehmen einen Vorteil nehmen, dessen Gewährung formell aber nicht materiell EU-Recht verletzt, ohne jegliches Zutun des Unternehmens.

Eingedenk des „Erfolges“ der wohlbekannten Schneider-Saga sind wir allerdings, gelinde gesagt, skeptisch… so sehr auch der Fehler der Kommission im Falle Liberty Global (im Gegensatz zu Schneider) verfahrensrechtlicher Natur gewesen sein mag. Keuschheit bedeutet für des Kaisers Weib, über jeden Zweifel erhaben zu sein 🙂

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