Vor dem Gesetz im Jahre 2017: Das EuG haftet für Schäden!

26/01/17

Unter den wenigen kartellrechtlichen Urteilen, die uns 2017 bislang beschert hat, sticht eines hervor, das eine Schadensersatzklage bescheidet: Rs. Gascogne (T-577/14). Es geht um außervertragliche Haftung für Schäden durch die ungebührende lange Rechtshängigkeit einer Anfechtungsklage gegen eine Kartellbuße. Gascogne klagte 2006, und das EuG entschied 2011. Das EuG wies die Klage ab (T‑72/06), und der EuGH bestätigte die Klageabweisung (C‑58/12 P), legte den Klägerinnen aber nahe, Schadensersatz wegen unzumutbarer Verfahrenslänge zu verlangen.

Das neue Urteil des EuG vom 10. Januar 2017 erkennt die Schadenshaftung an, beschränkt aber deren finanzielle Auswirkungen stark. Trotzdem schafft es einen Präzedenzfall für künftige Klagen. Wir haben uns ja schon ausführlich dazu geäußert, daß die Delikthaftung der EU-Organe (wie auch diejenige des Staates) schwer nachzuweisen ist. Die berühmten drei Bedingungen der Rechtssachen Bergaderm und Francovich legen die Latte für Geschädigte sehr hoch. Es kann nicht überraschen, daß das EuG diese Bedingungen jetzt nicht in eigener Sache gelockert hat. Eigentlich hatte der EuGH schon früher (in der Rs. Der Grüne Punkt) auf die Möglichkeit einer Schadensersatzklage wegen überlangen Verfahren in Luxemburg hingewiesen. Aber unseres Wissens ist das Gascogne-Urteil das erste, in dem die EU-Gerichte sich selber diese Haftung auferlegen.

Die Verletzung von Unionsrecht ist der springende Punkt im Falle Gascogne. Sie besteht in der Überlänge eines Gerichtsverfahrens, und damit in einem Verstoß gegen Artikel 47 der Grundrechtscharta. Π x Daumen: 15 Monate vom Ende des schriftlichen Verfahrens bis zum Termin zur mündlichen Verhandlung sind in Kartellsachen angemessen. Zu diesem Zeitraum kann man außerdem einen Monat für jede weitere Anfechtungsklage gegen die selbe Kommissionsentscheidung rechnen. Mit anderen Worten: je mehr Adressaten eine Kommissionsentscheidung hat, desto mehr Geduld muß man haben. Ergebnis: 26 Monate wären im streitgegenständlichen Verfahren angemessen gewesen, die tatsächlich verstrichenen 46 Monate sind es nicht.

So, so… und welchen Schaden haben diese 20 Monate zu viel verursacht? Nach Ansicht Gascognes, fast 4 Millionen Euro, verteilt auf Kosten der Bankbürgschaft in Höhe des Bußgeldbetrages, Zinsen auf diesen Betrag und immaterielle Schäden, weil die Ungewissheit über den Ausgang der Anfechtungsklage die betriebliche Planung und die Suche nach einem neuen Investor vereitelt hat. Nach Ansicht des EuG hingegen schrumpft der Betrag auf 50.000 und zerquetschte Euro, u.a. weil der Kausalitätszusammenhang fehle (so habe Gascogne die Bürgschaftskonditionen auf eigene Faust mit dem Kreditinstitut ausgehandelt), und in jedem Fall dürfe die Entschädigung nicht das eigentliche Bußgeld ausgleichen, das ja schließlich – wenn auch mit reichlicher Verspätung – bestätigt wurde.

Zu der geringen Schadenssumme kommt noch, daß jede Partei ihre eigenen Kosten tragen muß. Wir fragen uns, ob Gascogne überhaupt die Anwaltshonorare für die Schadensersatzklage herausgeschlagen hat…

Es scheint uns nicht wirklich passend, daß das EuG über seine eigene Haftung zu befinden hat. Wir freuen uns natürlich, daß es sie überhaupt anerkennt, aber kann es denn wirklich unparteiisch sein, wenn es den von ihm selbst verursachten Schaden zu bemessen hat? Natürlich läßt ein einziges Urteil keine weitreichenden Schlüsse zu. Also werden wir abwarten, ob weitere Urteile folgen werden oder diese eine Rechtssache unser Kuriositätenkabinett bereichert…

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