Der EuGH prüft (einmal mehr) Nibelungentreue

15/09/17

Vor einer knappen Woche verkündete der EuGH sein Intel-Urteil (Rs. C-413/14 P), und seither rauscht es im Blätterwald. Wen wundert’s, bedenkt man, dass es um das bei Erlass höchste Bußgeld geht, das die Europäische Kommission je wegen eines Missbrauchs marktbeherrschender Stellung verhängt hatte (über 1 Milliarde Euro). Jetzt hat das Bußgeld für Google es natürlich in den Schatten gestellt…

Der Fall betrifft Intels Treuerabatte. Diese erhielten, grob vereinfacht, Abnehmer, die (praktisch) ausschließlich Intel-Produkte erwarben oder (als direkte Zahlung) diejenigen, die nur solche auf Lager hielten. Das EuG bestätigte 2014, dass die Kommission Intel zu Recht bebußt hatte. Es hielt es auch nicht für erforderlich, Intels Vortrag zum Fehlen von Auswirkungen dieser Praxis zu prüfen, da es sich, wiederum grob vereinfacht, um einen objektiven Verstoß handele. Tatsächlich hat die Kommission der Frage der Auswirkungen auch nur läppische… 150 Seiten ihrer Entscheidung gewidmet.

Wie dem auch sei, letzte Woche hob der EuGH das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Sache an das EuG zurück. Dieses wird den Fall neu aufrollen und sich insbesondere mit Intels besagten Vortrag zu den Auswirkungen der Rabatte auseinandersetzten müssen.

Wir werden uns nicht zu den Einzelheiten auslassen, denn es sind schon viele und sehr gute Besprechungen des Urteils, seiner möglichen Auslegung und etwaige Auswirkungen auf noch anhängige Fälle erschienen (so etwa hier oder hier). Wir werden nur einen besonders interessanten Gesichtspunkt ansprechen, den der EuGH erörtert: Vermutungen sind begriffsnotwendig widerlegbar. Ein zu Unrecht als “objektiv” bezeichneter Missbrauch ist ein solcher, der auf den ersten Blick geeignet erscheint, den Wettbewerb zu verzerren. Ist diese Plausibilität nach erstem Anschein dargelegt, liegt es auf der Hand, das die Beweislast der Kartellbehörde abnimmt. Nichtsdestoweniger ist das wirklich Wichtige – und darin liegt die Neuigkeit des Intel-Urteils des EuGH -, dass diese Beweislast nicht völlig schwindet, denn das Unternehmen muss ein gegenteiliges Ergebnis im konkreten Fall vortragen und darlegen können. Es ist Aufgabe der Kartellbehörde und danach der Gerichte, die Plausibilität dieses Vortrags zu prüfen und letztendlich zu beurteilen, ob das verfahrensgegenständliche Verhalten den Wettbewerb in dem konkreten Fall den Wettbewerb verzerren konnte (und nicht auf einer theoretischen Ebene, auf der Treuerabatte stets geeignet sind, Wettbewerber zu schädigen).

Diese Fragestellung werfen nicht nur Missbrauchsfälle auf. Die Neigung, eine Art juristisches Oxymoron in Gestalt der Unwiderlegbarkeit einer Vermutung zu vertreten, besteht auch im Bereich des Akteneinsichtsrechts eines Beihilfenempfängers. Deshalb halten wir die deutliche Aussage des EuGH, Vermutungen seien begriffsnotwendig widerlegbar, für einen riesigen Fortschritt… ungefähr in der Größenordnung des Bußgeldes, das Intel anficht 🙂

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